Unter der Erde
Thomas Schütte: „Bunker, Modell V“, 1981,Tusche und Sprühfarbe auf Papier, ca. 70 x 100 cm, © VG Bild-Kunst, Foto Kunstsammlung NRW
Unter der Erde ist es düster, dreckig, geheimnisvoll. Und was macht der Mensch, der Sisyphos? Er will systematisieren, erschließen, zugänglich machen – wie das Tier, Franz Kafkas Alter Ego in der Erzählung „Der Bau“ von 1923/24, das unter der Erde obsessiv perfektionistisch ein komplexes Tunnelsystem gräbt. „Die Arbeit am Burgplatz erschwerte sich auch unnötig (…) dadurch, daß gerade an der Stelle wo der Platz standesgemäß sein sollte, die Erde recht locker und sandig war, die Erde mußte dort geradezu festgehämmert werden, um den großen schön gewölbten und gerundeten Platz zu bilden. Für eine solche Arbeit aber habe ich nur die Stirn. Mit der Stirn also bin ich tausend und tausend mal tage- und nächtelang gegen die Erde angerannt, war glücklich wenn ich sie mir blutig schlug, denn dies war ein Beweis der beginnenden Festigung der Wand.“
Die Ausstellung Unter der Erde – Von Kafka bis Kippenberger im K21 befindet sich zwar unter der Erde, aber sie ist, umgeben von hellgrauen Wänden, übersichtlich, glatt und gut beleuchtet. Der schwarz-neongelbe Katalog riecht so wie letztgenannte Farbe. Ich muss niesen. Am Ende des Rundgangs gehe ich hinaus auf die Wiese hinter der Bar am Kaiserteich, um mir das Werk von Kris Martin anzuschauen: ein weißer, glatter Klotz mit der Aufschrift Unter der Erde scheint die Sonne (2014). Er erinnert weniger an einen Grabstein als an eine Bank, die zum Verweilen einlädt.
Sterne unter der Erde. Diese und weitere unterirdische Wunder hat auch Jules Vernes Professor Otto Lidenbrock in „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ gesucht. Als Eingang unter die Erdoberfläche entpuppte sich der reale isländische Vulkan Snæfellsjökull, den die Künstlerin Roni Horn im ausliegenden Band To Place – Verne’s Journey (1995) dokumentiert. Während Surrealist Max Ernst, inspiriert durch die Tropfsteinhöhlen aus der Gegend von Ardèche, in Le fascinant cyprès (1939) Zypressen und unterirdische Stalagmiten überlappen lässt, zeigt Thomas Demand Grotte (2006), eine Fotografie der (fiktiven) perfekten Höhle. Jeff Wall eröffnet einen weiteren Zugang zu einem fantastischen unterirdischen Ort: The Flooded Grave (1998-2000): Ein geöffnetes Grab weist statt einer Leiche – oder schlicht: Erde – Seesterne und Anemonen auf. Als ich Thomas Schüttes Basement III (1993), einer Negativskulptur aus hellem Holz, der er Sägemehl hinzugefügt hat, den Rücken kehre und aus dem Fenster schaue, ruht mein Blick auf Höhe des Kaiserteichspiegels. So schön dreckig stelle ich es mir unter der Erde vor.
Im Verborgenen walten Urkräfte, die uns, auch wenn sie nicht sichtbar sind und wir sie ignorieren, maßgeblich beeinflussen. Seien es sexuelle Triebe, welche – sowohl aus dem Unbewussten als auch aus dem inneren des Körpers stammend – Einfluss auf die Oberfläche nehmen: Mike Kelley zeigt dies mit seiner Installation Sublevel (1998) genauso wie Martin Kippenberger mit Tiefes Kelchen (1991, inspiriert durch den Pornofilm „Deep Throat“). Seien es gesellschaftlich-moralische Aspekte des Verdrängten: Zu Gregor Schneiders Kinderzimmer (No. 2) gelangt man, als Erwachsener zwangsläufig gebeugt, durch ein Abflussrohr. Der quadratische Raum ist ausschließlich mit einer winzigen Matratze und einem Spiegel ausgestattet. Die Grundbedürfnisse des Kindes werden gestillt, doch die lebensnotwendige liebevolle Fürsorge bleibt ihm verwehrt. Analog zum Kinderzimmer entdecke ich einen sogenannten Fuchsbau – eine Nachbildung des Erdlochs, in dem Sadam Hussein 2003 zusammen mit einem Haufen Geldscheinen aufgefunden und verhaftet wurde. Christoph Büchel stellt mit dieser Arbeit Spider Hole (2006) die Frage nach der Bedeutung von weltlichen Gütern, wenn Freiheit nicht gegeben ist.
Roni Horn: “Ant Farm”, 1974-75, Installationsansicht “Roni Horn aka Roni Horn”, Tate Modern, London, 2009, Courtesy die Künstlerin und Hauser & Wirth, Foto Stefan Altenburger
Unter der Erde werden die wesentlichen menschlichen Bedürfnisse offenbar. Henry Moores Skizzen Shelter Sketchbooks (1941) zeigen Menschen, die sich während des Blitzkrieges in U-Bahn-Schächten versteckten und vermitteln, qualvoll für den Betrachter, das Beklemmende der Kombination Schutz und Gefangenschaft. Thomas Schütte dagegen lässt in Signalfarbe Menschen, die, kurz bevor sie sich in einem Bunker einschließen, fröhlich „bis bald“ und „viel Glück“ rufen, und übt sich somit in einem ambivalenteren Umgang mit jener Beklemmung. Bruce Nauman wiederum muss nicht einmal Menschen in seine Installation Audio-Video Underground Chamber (1972-74) integrieren, um zu vermitteln, dass ewiges Verharren im Bau definitiv nicht wünschenswert ist: Eine Standleitung überträgt Bild und Ton von einer Betonkammer, die sich, ohne Öffnung, unter dem Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien befindet. Das Kanalvideo (1992) von Peter Fischli David Weiß, dessen Komponenten ursprünglich der Inspektion von Züricher Abwasserkanälen dienten, wirkt als Bindeglied zwischen kriegsnotwendigen Bunkern, konstruierter Gefangenschaft und gegenwärtig genutzten unterirdischen Gängen.
Ebenso minutiös wie fachlich kompetent wurden Kunstwerke zu unterschiedlichen Interpretationen unterirdischer Räume zusammengetragen. Mit welcher Emsigkeit Dr. Marion Ackermann, Kathrin Beßen und Florence Thumes die Ausstellung kuratiert haben, zeigt sich darüber hinaus an einer Karte der unterirdischen Orte der Düsseldorfer Innenstadt, die jeder Besucher erhält. Diese wurde mühsam für die Ausstellung erstellt: Da die unterirdischen Räume nicht gesammelt kartografiert werden und jedes Amt für etwas anderes zuständig ist, entpuppte sich die Zusammenstellung als zeitraubende Angelegenheit.
Die Ausstellung im K21 ist fachlich einwandfrei, akribisch, bedeutungsvoll. Sie seziert das Unterirdische, die Unmöglichkeit der absoluten Sicherheit, und präsentiert sie uns übersichtlich ausgeleuchtet. Doch genauso wie die Skizzen eines geplanten Projektes von Christoph Büchel, der für 2015 für eine Einzelschau im Gespräch ist, und genauso, wie zu Beginn der Ausstellungszeit Roni Horns Ameisenkolonie Ant Farm hinter dem Glas erst noch ein paar Gänge graben muss, genauso unvollendet wirkt die Ausstellung – gerade weil sie so perfekt ist: Leider wurde die absolute Sicherheit angestrebt und keiner hat sich die Hände dreckig gemacht. Sehnsuchtsvoll denke ich an den Kaiserteich und muss über das bisschen Sägemehl lächeln.
K21 – Unter der Erde – Von Kafka bis Kippenberger, bis 10.08.14
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