Nobelmaler

3. April 2012

Hermann Hesse, 1927, Foto: Gret Widmann

Ein Schriftsteller mittleren Alters, bitterarm, bekommt von seinem Arzt, Josef Bernhard Lang, einem Mitarbeiter von C.G. Jung, aufgetragen, gegen seine Depression anzumalen. Im Tessin beginnt er dies, trotz immer wiederkehrender Selbstzweifel.

Schon wieder ein Künstler, dem sein ursprüngliches Medium nicht genug ist! Der sich auch in einer anderen Kunst versuchen will! Dieser Künstler hat jedoch nicht nur einzelne Miesepeter, sondern eine ganze Nation gegen sich. Vor und während des Ersten Weltkriegs ist er einer der wenigen, die sich gegen Nationalismus und Völkerhass aussprechen und dafür als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet werden.

Hermann Hesses Malversuche beginnen zögerlich und bleiben voller Demut, wie seine Lyrik. Die Show stiehlt er niemandem, aber er verdichtet wie kein anderer Bilder zu einer einzigartigen Stimmung, wie sie auch in seinen Romanen und Geschichten zu finden ist: geistvolle, häufig melancholische Betrachtungen ländlicher Szenen, Tages- und Jahreszeiten, Blumen, Bäume, Berge. Nur er konnte den weisen, aber heute leider sehr klischeebeladenen Satz schreiben: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“

Der Schriftsteller mit dem Auge für kleinste Details nimmt seine Fähigkeit mit ins neue Medium. Seine Inspirationsquelle beschreibt er als versteckt und nur ihm zugänglich: „Keiner sieht, wie die bleiche, bröcklige Kalkwand dort hinten den Ton des Blau aus dem Himmel herüberzieht und auf Erden weiterschwingen macht. Keiner sieht, wie sanft und warm das verschossene Rosa jenes Giebels zwischen dem wehenden Grün der Mimosen lächelt, wie feist und prall das dunkle Ockergelb am Haus der Adamini vor dem schweren Blau des Berges steht, und wie witzig die Cypresse im Garten des Sindaco das Laubgekräusel überschneidet. Keiner sieht, daß die Musik dieser Farben gerade in dieser Stunde ihre reinste, bestgespannte Stimmung hat, daß das Spiel der Töne, die Stufenfolge der Helligkeiten, der Kampf der Schatten in dieser kleinen Welt zu keiner Stunde die gleichen sind.“ Und nur er kann dies auch so malen, wenn auch mit der rührenden Unbedarftheit eines 40-Jährigen, der gerade das Malen für sich entdeckt hat.

In seinen schriftstellerischen Werken wählt Hesse nicht nur das einzelne Wort sorgsam aus, sondern behält dabei den Grundton des Satzes, die Färbung des Kapitels und das große Ganze des Romans im einfühlsamen Blick. Ähnlich, aber nicht ganz so virtuos, geht der Autodidakt bei seinen Aquarellen vor: Sie bilden eine ganzheitliche, wohlüberlegte Komposition, stammend aus dem Gefäß Hermann Hesse. Seine Worte sind zu Farben geworden, in Abhängigkeit von allen anderen Komponenten ausgewählt.

Und nur so ist es möglich, dass er in seinem Gedicht Malerfreuden von 1918, also bereits kurz nach seinem Maldebut, schreiben kann: „Neu und sinnvoll wird die Welt verteilt / Und im Herzen wird es froh und helle“. Ähnlich wie viele andere Gedichte, die seine Aquarelle illustrieren, besticht auch dieses durch seine Schlichtheit: Einfache Worte, einfache Komposition, ein Kreuzreim.

Doch wo Hesse gerade noch die Wohltat des Malens für sich erkannt hat, schreibt er wieder: „Ich bin kein sehr guter Maler, ich bin ein Dilettant.“ Auch durch eigene Erfahrungen und nicht nur im genauen Beobachten kleiner, feiner Dinge gelingt es dem melancholischen Künstler, eines seiner zentralen Themen zu begreifen: die Vergänglichkeit.

Es mag im Zusammenhang mit Hesses Aquarellen der Satz aufkommen: „Das kann ich auch“. Aber wer tut es denn tatsächlich? Wer setzt sich, arm wie eine Kirchenmaus, voller Demut im Tessin hin, tagelang, monatelang, die ideale Jahres- und Tageszeit abwartend, und beobachtet die Natur, versucht, ihr wandelndes Wesen mit Gedichten und Aquarellen zu erfassen? Wer hatte (oder hat) die Muße, Vergängliches festzuhalten und zu sammeln; die Muße, dem künstlerischen Drang seine Lebenszeit, seinen kostbarsten Besitz, zu opfern? Hesse jedoch fühlte, dass er keine Wahl hat; er schreibt: „Kaum bin ich in einen kleinen Fußweg eingebogen, wo im Schatten eines Rebenhügels das Gras noch triefend naß vom Tau steht, da ruft mich schon ein Bild an, das unbedingt gemalt werden muss.“

Auch in der Malerei zaubert der Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse märchenhaftes, zerbrechliches und zugleich lebensnotwendiges Futter für die Seele hervor. Im Jahr seines 50-jährigen Todestags zeigt die Galerie Ludorff bis zum 5. Mai seine Aquarelle, einige seine Gedichte illustrierend, in frühlingshaft maigrünen Räumen.

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