Maximilian Westphal: Erkenntnis im Kunstformat
Maximilian Westphal: „Scavenger“, 2004,120 x 180 cm
Klangvoller Name, unappetitliches Aussehen. Den Marabu hat der Fotograf Maximilian Westphal trotzdem gekonnt in Szene gesetzt. Das eindringlich blickende Auge packt den Betrachter sofort. Westphal sieht darin einen Vulkan, einen Wasserkrater, Gesteinslandschaft, eine Satellitenschüssel. „Ich spüre sofort, wenn ich die Kamera ziehen will“, sagt er.
Dabei hat Westphal erst im Alter von 21 Jahren begonnen, „bewusst sehen zu lernen“. Die künstlerische Energie, die er als Gitarrist während der Schulzeit in Bandproben gesteckt hatte, investierte er mit Beginn des BWL-Studiums in eine weniger termingebundene Kunst. Westphal kaufte sich eine Kamera und zog alleine los. Zwei kleinere Fotopreise wiesen ihm den Weg, ermutigten ihn, ein zweites, laut ihm nicht ganz so „erwachsenes“ Studium aufzunehmen: Westphal zog nach Dänemark und studierte Fotojournalismus. Der Grundstein für eine internationale Karriere war gelegt.
Eine breite Palette an Kontrasten vereint Westphal in seiner Person: Nomadendasein und Sesshaftigkeit, Einzelgängertum und Teamarbeit, Selbstvermarktung und authentische Kunst, Eitelkeit und Altruismus. Während er spricht, rollt er mit den Rollen seines Stuhls stetig hin und her. Vor kurzem hat er sich mit Frau und Kind in seiner Geburtsstadt Düsseldorf niedergelassen – nachdem er mit dem Rucksack unter anderem Südostasien, Russland, Ghana und Iran bereist hat. Die Aufzählung der Länder lässt Abenteuer-Fernweh aufkommen. Aber Westphal gehört nicht zu den Romantikern. „Jeder könnte Fotograf, Regisseur, Schriftsteller sein. Man muss nur das Interesse in ihm wecken und ihm genügend Ressourcen und Zeit geben.“ Konkret auf den Fotojournalismus bezogen fährt Westphal fort: Den Zweiten Weltkrieg haben die Menschen nur zeitversetzt mitverfolgen und daher seine Ausmaße nicht begreifen können. Der Vietnamkrieg sei jedoch abgebrochen worden, weil die Menschen zum ersten Mal in Echtzeit hätten sehen können, wie die Särge nach Hause getragen wurden und welches Leid der Krieg verursacht hat. (Man braucht nur an das berühmte Pressefoto des Jahres 1972 von Nick Út zu denken.) Seitdem hätte das Volumen an Information und Berichterstattung stetig zugenommen; vom Irakkrieg gäbe es schon kein repräsentatives Bild mehr, die Menschen seien abgestumpft.
Wie also nicht in die Kategorie „substituierbar“ fallen? Wie es anstellen, dass die Leute nicht bei den eigenen Werken wegschauen? Der Diplom-Betriebswirt spricht gerne in Negationen: „Ich habe nichts gegen die Marke Maximilian Westphal“, sagt er. Er hat gelernt, wie wichtig Branding ist und dass hinter jeder Situation ein Profitgedanke steckt. Sein Name soll nicht nur für hohe Qualität, sondern auch für eine individuelle und authentische Auseinandersetzung mit Kunst, Politik und Alltag stehen. Einer Auseinandersetzung, der immer ein „künstlerischer Hauch“ anhaftet. Seiner Ansicht nach gelingt ihm dies: Die eigenen Arbeiten würde er sich auch selbst an die Wand hängen.
Im Jahr 2004 gründete Maximilian Westphal zusammen mit drei seiner dänischen Kommilitonen die Produktionsfirma Equatorpictures. Hauptsächlich ästhetisch anspruchsvolle Dokumentarfilme über in den Medien kaum thematisierte gesellschaftliche Probleme hat das Team seitdem gedreht. Ob sich Westphal eher als Fotograf oder Filmemacher sieht? Nach einer etwas missmutigen Ausführung über das deutsche Streben nach klaren Definitionen gibt er zu, dass er lieber allein arbeitet. Die Arbeitsteilung beim Film empfinde er als anstrengend. Ein Film sei komplizierter, teurer, man könne nicht abschalten. Auch das Ergebnis seines präferierten Ausdrucksmediums genieße er lieber: Ein Bild sei immer da, man schaue es sich im Gegensatz zu einem Film häufiger an. Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass Westphal Wert auf Anerkennung legt – die natürlich im Falle der Fotografie dem Fotografen allein gebührt.
Anerkennung hat er sich für seine Russland-Reihe zweifellos verdient. Westphal zeigt, wie er das Land erlebt hat: kalt, brutal, korrupt. Rasputin, Stalin, Lenin – die Russen haben unter vielen grausamen Machthabern gelitten. Der Bevölkerung ist das in seinen Werken anzusehen. In seinem Film Nasdrowje! (dt.: Prost!, 2006-2009, Equatorpictures) berichtet er über das Land, das die weltweit höchste Alkoholikerrate vorweist. Die gleichnamige Reihe fotografischer Porträts zeigt Gesichter, von Elend geprägt, die jedoch ausgesprochen ästhetisch wirken. Damit möchte Westphal jedoch nicht nur provozieren: Von unmittelbar dargestelltem, unaussprechlichem Leid gebe es genug auf der Welt. Er versuche vielmehr, das Interesse des Betrachters einzufangen, ohne ihn zu schockieren. Ihn einzuladen, seine Werke anzuschauen und an seiner Erinnerung teil zu haben.
Kunst nutzt er keineswegs als Therapie, sondern um die Welt zu verstehen. Ein bisschen ironisch bemerkt er über die Fotografie: „Man bekommt halt keine Widerworte.“ Die Bearbeitung und die Präsentation der Bilder sind bis ins feinste Detail künstlerisch perfektionistisch durchdacht. Auf seine Technik angesprochen beruft sich Westphal auf das Berufsgeheimnis, aber bereitwillig begründet er die Präsentation der Werke. Das Weiß der Objektrahmen suggeriert die Distanz, aus der wir das als Tourismusziel kaum bekannte Russland betrachten. Ein schwarzer Rahmen würde die Bilder noch erdrückender wirken lassen. Durch ihre Aufstellung nehmen die Fotografien Bezug zueinander: Von Daddy is a good man aus schaut Putin auf Nasdrowje und damit auf einen russischen Bettler mit markantem Gesicht. Der Betrachter wird so in die russisch-Westphalschen Impressionen hineingezogen.
Im Gegensatz zu Künstlern, die ihre Inspiration aus Leid und Depression ziehen, arbeitet Westphal am produktivsten, wenn es ihm gut geht. Er fühlt sich zur Fotografie berufen, der Prozess verschafft ihm Glücksgefühle und Bestätigung. Auch das ist ein Grund, weshalb er sich in Düsseldorf niedergelassen hat. „Ich glaube nicht, dass Düsseldorf meiner Karriere schadet“, bemerkt er. Die Kunststadt schenkt ihm Nestwärme, Sicherheit, Stabilität. Und Dank der zentraleuropäischen Lage sind es zur Art Basel, wo er in 2009 zusammen mit Michael von Hassel den Hot Art Award als bester zeitgenössischer Künstler gewonnen hat, nur fünf Stunden. Ein verletzlicher Künstler versteckt sich trotzdem hinter dem selbstbewussten Geschäftsmann, der ganz offensichtlich weiß, was er kann und warum er gefragt ist (davon zeugt nicht nur das ständig klingelnde Mobiltelefon). „So selbstbewusst bin ich noch nicht, dass ich gern vor vielen Menschen über mich rede.“ Diese innere Zurückgezogenheit ist wichtig für ihn, der trotz Branding Wert darauf legt, dem Kunstmarkt kritisch gegenüber zu stehen: Marken bedeuten ihm persönlich nichts. „Ich will ein Boot haben, um aufs Wasser zu fahren. Nicht um einfach nur eines zu besitzen.“
Vom Authentischen seiner Werke kann man sich noch bis zum 6. März 2011 im Energie-Designcenter in Düsseldorf überzeugen. Die fotografische Essenz seiner zahlreichen Reisen trägt den Namen Rückschau.
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