Maximal Minimalistisch
Dr. Marion Ackermann während der Vorstellung von Agnes Martins „Untitled #5“ im K21 Ständehaus.
Wortakrobatik ist eine Form der Kommunikation, die nicht nur Aufschluss über den Sender gibt, sondern außerdem eine Wertsteigerung ihres Gegenstandes bewirken kann. Man denke nur an Aktien oder Kunst. In diesem konkreten Fall denke ich an die neueste Anschaffung der Kunstsammlung NRW, offiziell kommuniziert als „Agnes Martins minimalistisches Spätwerk Untitled #5“ aus dem Jahr 1998.
Meine eigene Überlegung dazu beginnt in den 1960ern, als amerikanische Künstler, vorwiegend aus den Metropolen New York und Los Angeles stammend, nach einem neuen avantgardistischen Stil suchten, fernab von europäischen Vorbildern, an denen sich noch der abstrakte Expressionismus orientiert hatte. Einem Stil, der sich vom Kunstbetrieb und etablierten Gestaltungsmitteln ablösen sollte. So kürten Künstler der Land Art die abgelegensten Naturlandschaften zu neuen Ausstellungsräumen, und Minimalisten ließen ihre Skulpturen industriell anfertigen, um dem künstlerischen Prozess die Bedeutung zu nehmen.
Frank Stella malte Black Paintings und sprach den Kerngedanken letztgenannter Kunstströmung aus: „Man sieht das, was man sieht.“ Schwarze Gemälde. Nichts mehr und nichts weniger. Keine Suggestion, keine Bedeutung, keine Anspielungen auf kulturelles Erbgut, keine Symbole. Das Werk sollte seine Existenz einfach durch seine Anwesenheit in Zeit und Raum rechtfertigen. Sein Material sollte genau das sein: Material. Doch gerade der Minimalismus wurde letztendlich von einem riesigen Hype begleitet, getragen von einer immensen Welle großer Worte. Als wollten die Kritiker die Reduktion der Kunstwerke wortreich kompensieren. Und das war in dem Maße möglich, weil gerade diese minimalistische Beschränkung auf das Grundlegende ungeahnte Projektionsflächen für Theorien, Assoziationen und Wortakrobatik bot.
In den 1990ern lebte der Minimalismus mit Janine Antoni, Félix González-Torres, Roni Horn und Charles Ray wieder auf. Alan Charlton malte weiterhin – und das übrigens heute noch, bis Januar zu sehen in der Galerie Konrad Fischer – ausschließlich graue Monochrome, als seien davon im Laufe des fast halben Jahrhunderts nicht genug entstanden. Und er stellt dabei immer noch schlicht fest: „I am an artist who makes a grey painting.“
Die Künstlerin Agnes Martin, in den 1950ern bis 1967 durch die New Yorker Galeristin Betty Parsons vertreten, wurde in den 90ern als Minimalistin neu entdeckt. Agnes Martin, die sich selbst eher dem abstrakten Expressionismus zuordnete, die in den 1940er Jahren in der Wüste New Mexikos und ab 1967 in einer selbstgebauten Lehmhütte nach Vorbild der Pueblo-Indianer gelebt hatte und sich besonders für den Taoismus interessierte. Die in ihren Bildern nach dem völlig abstrahierten Idealen, einer universalen Sprache, dem Erhabenen und, wie Dr. Marion Ackermann es formulierte, „nach der Intensität von absoluter Schönheit“ suchte. Im Gegensatz zu den klassischen Minimalisten Robert Morris, Donald Judd, Carl Andre, Dan Flavin und Sol LeWitt schuf sie Bilder, die zwar klar strukturierte Linien, Gitter und dünn aufgetragene Acrylfarben, serielle Anordnungen und geometrische Formen zeigen und gelegentlich Millimeterpapier gleichen, doch auf denen kleine Makel auch zeigen: Dieses Werk ist handgemacht. So wenig wie sie sich als Minimalistin fühlte, so wenig schätzte sie Hype und Medienrummel, der in ihr „confusion“ auslöste. Und so wenig wurde der Hype ihr gerecht: Auch sie, die versuchte, sich von Konventionen zu lösen, wurde zurückgeholt und in eine immerhin goldene Schublade gesteckt.
Wie jedoch eine Lehre ihres geliebten Taoismus besagt, ist alles relativ und Wissen niemals vollständig losgelöst von seinem Kontext. Dass es die absolute Schönheit, die Martin suchte, nicht gibt (wenn es sie gäbe, hat sie im abstrakten Bereich bestimmt an der richtigen Stelle gesucht), sondern vielmehr Ansichtssache ist, belegt nicht nur Umberto Ecos umfassendes Werk Die Geschichte der Schönheit.
Uns stellt sich aktuell die Frage: Ist die Neuanschaffung der Kunstsammlung NRW, sieben Querstreifen in drei unterschiedlichen Farben auf einer Leinwand aus dem Jahr 1998, heute schön, relevant, bereichernd? Und wie viel sind wir bereit, dafür zu zahlen?
Um die Antwort darauf zunächst generell zu halten: Kunst ist Kunst, wenn man sie als solche definiert, und allzu häufig sind es der geschichtliche Kontext und die Worte drum herum, die die Werke interessant machen und zu Meilensteinen werden lassen. So und nicht anders ist zu erklären, warum Malewitschs Schwarzes Quadrat auf weißem Grund nicht als grundierte Fläche weiterverwendet oder warum Marcel Duchamps Fahrrad-Rad wiederholt rekonstruiert wurde, anstatt es endgültig zu verschrotten.
Im Falle von Agnes Martins Untitled #5 wurden besagte sieben Streifen auf Leinwand, geschaffen von einer tief spirituellen Künstlerin, zu einem minimalistischen Spätwerk erklärt, bei dem „das Licht von hinten durch die Farbe hindurch scheint“ (Zitat Ackermann). Zum finanziellen Wert äußert sich die Kunstsammlung NRW nicht, lässt aber verlauten, dass der Kauf ohne das einträgliche, nach New Yorker Vorbild gestaltete Fundraising Dinner im K21 Ständehaus Ende letzten Jahres nicht hätte getätigt werden können. Sicher ist zwar, dass eben dieses Werk auf der Art Basel Miami Beach für 1,65 Millionen US-Dollar zum Verkauf gestanden hat, aber letztendlich bleibt hier leider, wie so oft, für die Wertbestimmung nur das in solchen Fällen verwendete Orientierungsbarometer: die Spekulation.
Auch falls der Preis für die Kunstsammlung NRW nur die Hälfte der in Miami verlangten Summe beträgt – für diejenigen, die nicht in den wort- und geldgewaltigen Sphären der Kunstwelt leben, ist er sicher nur sehr schwer nachvollziehbar. Möglicherweise auch nicht für die 2004 verstorbene Künstlerin selbst.
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