Kunst folgt Kommerz

1. April 2013
Dieter Blum, Foto Michael W. Driesch

Dieter Blum, Foto Michael W. Driesch

Der Raum erinnert an ein Büro, er ist mit Arbeitstischen, PCs und Ablagefächern ausgestattet; auf dem Boden liegen Dokumente. Vor Kurzem hat Dieter Blum (*1936) hier aufgeräumt und findet genau deshalb – nichts. Ein produktiver Mann an seinem überbordenden Arbeitsplatz wie jeder andere, scheint es. An der Wand seines Ateliers hängen überdimensionale Fotografien von einsamen Cowboys, die sich erhobenen Hauptes der Wildnis stellen; sie zeigen kein Fünkchen Schwäche, eine Zigarette hängt in ihren Mundwinkeln. Blum selbst raucht nicht, und weil er mit Hannes Schmid der einzige europäische und zudem einer der erfolgreichsten Fotografen für die Zigarettenmarke Marlboro ist, nennen ihn seine Töchter einen Pharisäer.

Es gibt Künstler, die entwickeln elaborierte Theorien und verlieren sich verliebt in Details, wenn das Gespräch auf ihre Kunst kommt. Es gibt jene Künstler, die eher auf Selbstdarstellung als auf Kunst setzen. Und dann gibt es jene, die intuitiv ab durch die Mitte reiten. Zu Letzteren gehört Dieter Blum. Er erzählt mir die Anekdote, wie er 1986 das stagnierende Projekt einer US-amerikanischen Werbeagentur in drei Tagen löste. Ohne Umschweife, zack. Neun Monate lang hatte die Agentur versucht, die beiden Terminals der Fluggesellschaft American Airlines in Dallas (Texas) auf ein Foto zu bekommen. Dies ging nur von der Luft aus, aber der zuständige Senat stellte sich quer, wollte den Flugbetrieb nicht stören. Blum reiste an, rief sofort beim Boss einer Helikopterfluggesellschaft an und konnte zwei Tage später zur Hauptverkehrszeit um 12:30 Uhr 45 Minuten lang die ersehnten Bilder schießen.

Nicht minder überrumpelt wie der Creative Manager, der nicht einmal ein Budget für Blums Aktion eingeplant hatte, waren vermutlich viele der Künstler, die der Fotograf mit einem Aktmodell in ihrem Atelier besuchte und sie aufforderte, über die junge, nackte Frau im Sinne ihrer jeweiligen Kunst zu verfügen. Vor 20 Jahren entstanden die ersten Bilder im Rahmen einer Serie für den „Stern“. Seitdem ist Blum dem Mythos des schaffenden Künstlergenies auf der Spur gewesen, indem er die Trias Künstler-Atelier-Modell fotografisch festgehalten hat. 53 Künstler sind nun in seinem jüngst erschienenen Bildband A Part of Art vertreten, darunter Louise Bourgeois, Sandro Chia, Jörg Immendorff, Alex Katz, Markus Lüpertz, Heinz Mack, Nam June Paik, Robert Rauschenberg, K.R.H. Sonderborg, Günther Uecker und Tomi Ungerer.

Dieter Blum erzählt bereitwillig, Zwischenfragen irritieren ihn eher, stören seinen Redefluss. Als er acht Jahre alt war, schenkte ihm sein Vater eine 6×8 Balgenkamera, und in diesem Augenblick wurde er ein „Getriebener“, wie er es nennt, ein Getriebener der Fotografie. Er hat nie Fotografie studiert, immer war er Autodidakt. Wie ein Musiker, der keine Noten lesen kann, dafür aber genial spielt. Einfach so, weil es ihm im Blut liegt. Und weil er nichts anderes tut als üben, üben, üben. Genau diese Haltung macht seine Fotografie so einzigartig, denn er hält sich nicht an vorgegebene Konzepte und vermutlich sind seine eigenen nicht besonders verzweigt. „Wie haben Sie die Künstler für A Part of Art ausgesucht?“, frage ich und erwarte ganz akademisch eine Aufzählung von Auswahlkriterien. Verwirrt schaut Blum mich an. „Ich habe einfach die Künstler angerufen, deren Arbeit ich schätze“, sagt er schließlich.

Beim Betrachten des aufwendig produzierten Bildbandes A Part of Art kann man nun kunsthistorischen Fetischfragen nachgehen: Wie gehen Künstler mit dem Material Mensch um? Inwiefern beinhaltet die Erlaubnis des Modells, mit ihm zu arbeiten, eine gewisse Grenzenlosigkeit? Besitzt das Modell in der zeitgenössischen Kunst gar so etwas wie Autonomie? Blums Fotografien schenken dem Betrachter tatsächlich die Chance, einen Blick auf unterschiedliche Schaffensprozesse zu werfen sowie einen Einblick in den Kunstbetrieb und sein Selbstverständnis von Kunst zu gewinnen. Aber ich möchte hinzufügen: Nicht nur der bloße Blick verhilft zu diesen Erkenntnissen. Vor allem kann man spüren, wie sich der Künstler zu seinem Schaffen verhält, was ihn treibt, wie und mit wem er kommuniziert. In seinen Kompositionen vermittelt Blum uns nicht nur seine eigene Faszination für bildende Künstler und den weiblichen Körper, sondern auch die Irritation von Elvira Bach, die hauptsächlich Frauen malt, diese aber noch nie angemalt hat, die Behutsamkeit von San Keller, der das Modell in einer Performance wieder anzieht, die grapschenden Hände von Alfred Hrdlicka und die leichte Pinselführung von Darryl Pottdorf, der „eine nackte Frau nur mit dem Pinsel anfasst“, die wuchtigen Farbfluten eines Markus Tollmann, die vor nichts und auch keinen Frauen haltmachen, die Verwandlungen des Modells in Stahl (Erich Hauser) oder in einen Teil des Bildträgers (Mark Kostabi).

Und natürlich – auch wenn Donald Baechler sagt, er wisse auch nicht, was seine Nelke auf dem Bauch des Modells bedeuten solle – die Fotografien thematisieren oftmals gesellschaftliche Werte, treffen allgemeingültige Aussagen, üben Kritik aus, fungieren als Stein des Anstoßes. Zum Beispiel das Ergebnis von Blums Zusammenarbeit mit Ben Willikens: Der Künstler im Smoking, eine Zigarre in der Hand, wendet sich halb, scheinbar arrogant und abfällig, dem Aktmodell zu, das seine in einen blauen Plastiksack gepackte Malabfälle wegschafft. Im Hintergrund eines von Willikens’ Werken: leerer Raum, keine Menschen. Diese Fotografie erschien 1992 im „Stern“ und trat eine Diskussion um Sexismus und Erniedrigung der Frau los. Im Begleittext von A Part of Art erfahren wir jedoch: Willikens, der Maler der leeren Räume, stand zunächst eher ratlos-hilflos vor Modell Claudia Kron. Blum riet ihm, seinen Smoking anzuziehen, in dem Willikens sich stets wohlfühlte. Dann klappte es auch mit dem Modell. Kron wiederum bekam von der losgetretenen öffentlichen Diskussion nichts mit und diese tangiert sie heute immer noch nicht. Für sie war es damals nur ein Job. Geht es hier um den Maler als allmächtigen Schöpfer in seinem Atelier? Um das emanzipierte Modell? Nein, es geht hauptsächlich darum, was wir in dem Bild sehen oder sehen wollen.

Auftragsfotografie macht Dieter Blum heute nicht mehr. Obwohl er selbst seine Aufnahmen rauchender Cowboys als Kunst begreift und u.a. für den „Stern“, „Spiegel“, für „Time“, „Vanity Fair“, „Geo“ und „National Geographic“ fotografiert hat, distanziert er sich heute eindeutig von der kommerziellen Seite der Fotografie. Nach seinem Durchbruch 1976 mit dem Bildband Afrika. Faszination eines Kontinents hat er sich auf Musik, Tanz und Kunst spezialisiert: Die Berliner Philharmoniker unter der Leitung des österreichischen Stardirigenten Herbert von Karajan gehören genauso dazu wie das nackt tanzende Stuttgarter Ballett, festgehalten in einem seiner elf Tanzbücher. A Part of Art ist Blums umfassendster Beitrag zur bildenden Kunst. Das Besondere seiner Mischung aus dokumentarischer, inszenierter und konzeptueller Fotografie liegt in Blums Spontaneität, die durch jahrelange Praxis zu treffender Intuition gereift ist. Und an seinem direkten Umgang mit den Künstlern, die ihn dann doch in ihr Atelier lassen, obwohl er sie in ihrem oftmals einsamen und selbstbezogenen künstlerischen Schaffen mit einem lebendigen Menschen konfrontiert. Dem sie sich ja letztendlich durch die Kunst mitteilen wollen. Dem Betrachter zeigt Blum wiederum, wer eigentlich hinter den Werken der sagenumwobenen bildenden Kunst steckt. Und Blum selbst? Er bringt es wieder mal auf den Punkt: „Ich halt mich an mich, und sonst nichts.“

 

Dieter Blum (2012): A Part of Art, mit einem Beitrag von Prof. Klaus Honnef, 25,5 x 35,7 cm, 244 Seiten, 79,80 €, Status Verlag, Waiblingen.

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