Körper. Kunst. Technik.
Walter Vogel: „Pina Bausch“, 1966
Als ich vier Jahre alt war, musste ich anfangen, zu tanzen. Das war in meiner Grundschule für Mädchen so üblich (die Jungs wurden an Judo herangeführt). Lange Jahre ging ich pflichtbewusst regelmäßig zum Ballettunterricht. Ich setzte brav eine bestimmte Technik in Bewegung um. Bis ich alt genug war, um in Clubs tanzen zu gehen. Dort entdeckte ich in mir eine bisher unbekannte Leidenschaft – die für das Tanzen. Ich nahm sie mit in den Unterricht, nahm mit, was ich fühlte und es wurde Tanz. Die Technik allein ist es noch nicht. Vielleicht ist es sogar überhaupt nicht die Technik.
Wim Wenders sagte 2009 in der Trauerfeier für Pina Bausch über sie:
„Sie hat ihren Blick ungeheuer geschärft für all das,
was wir mit unseren Bewegungen und Gesten sagen,
was wir damit über uns selbst verraten,
unwillkürlich, unbewußt,
und eben auch den meisten Zuschauern unsichtbar.“
Der Blick – das ist Pina Bauschs (siehe Titelseite dieser Ausgabe) und auch unserer, wenn wir auf Kunst schauen. Bei bildender Kunst ist es das Material, das wir betrachten, beim Tanz ist es der Körper der Tänzer. Es liegt am Zuschauer und seiner inneren Bereitschaft, zu erkunden, was dahinter steht, was das Kunstwerk über Emotionen, Weltanschauungen und Gedanken, vielleicht auch unfreiwillig, verrät. In gewisser Weise trägt der Betrachter ebenfalls zum Werk bei.
So viel mehr als bloße Technik steckt in der Kunst! Der Begriff selbst ist zwar mit mehreren Bedeutungen belegt, letztendlich handelt es sich jedoch in beiden Fällen um ein Mittel zum Zweck: „Technik“ kann sich auf eine klar definierte Form des Vorgehens wie beispielsweise eine Tanztechnik beziehen oder aber auf menschengemachte Gegenstände, die diesem im Idealfall zuarbeiten. Eine Maschine mag geistreich erschaffen worden sein, aber sie verhält sich nicht so. Wenn aber ein talentierter Mensch sie bedient, dann kann beispielsweise so etwas wie Medienkunst entstehen.
Während des Festivals Temps d‘Images im Tanzhaus NRW im Januar 2012 stellte Jan Goldfuß in diesem Zusammenhang mit EnTroPI:space die weiterführende Frage, welchen Anteil der Künstler letztendlich am Werk hat. In einem Video-Loop entstand dank einer zufallsgesteuerten Computeranimation eine dreidimensionale Digitalwelt, auf die der Künstler keinen Einfluss mehr hatte. Diese Schnittstelle zwischen der realen, körperlichen Welt und der technischen, virtuellen thematisierte das siebte Festival seiner Art im Tanzhaus mit einer Ausstellung regionaler Künstler sowie verschiedenen Performances.
Der belgische Theaterregisseur und Visual Artist Kris Verdonck zeigte Duet – zwei Tänzer, die sich in der Luft schwebend umeinander winden. Viele der Zuschauer merkten erst am Ende der etwa 20 Minuten, dass sie nicht einer Filmvorführung beigewohnt hatten. Die Performance war live, eine Illusion erzeugt durch Licht und Ton, die ihre Zuschauer mit an ihre Wahrnehmungsgrenzen nahm und so, übrigens ebenso wie die festivalbegleitende Tagung zusammen mit dem Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität, den Umgang mit den neuen (technischen) Medien thematisierte.
Oftmals und besonders in jüngeren Generationen erscheint die virtuelle Welt viel verlockender als die reale. Man denke nur an das Computerspiel Second Life, wo Menschen ein komplettes Parallelleben in der virtuellen Welt führen. Oftmals verliert die reale an grundlegender Bedeutung, Realitätsflucht ist gesellschaftsfähig geworden. Es ist dann nicht mehr der Mensch, der sich zu seinen Zwecken der Technik bedient, sondern die Technik kontrolliert den Menschen.
Die Notwendigkeit eines mündigen Umgangs mit Medien steigt somit parallel zur technischen Entwicklung derselben. Die Jugend muss an sie herangeführt werden, und ein jeder braucht die Mittel zur „geistigen Selbstverteidigung“, wie der amerikanische Linguist Noam Chomsky es treffend nennt. Bildende Ansätze sind vereinzelt zu finden: Von institutioneller Seite gibt es den Medienpass NRW, die australische Unterhaltungsindustrie bietet die Fernsehshow Media Watch und Temps d‘Images leistet einen Beitrag von Seiten der Kunst. Stefan Schwarz, Festivalleiter und Ausstellungskurator, ist von dem Ansatz überzeugt und möchte das Festival definitiv weiterführen, „gerade weil es so speziell ist, eine Nische“, wie er begründet. Und nicht nur, weil es eine Nische ist. Wer könnte besser werben für den eigenen Körper, von dem der künstlerische Impuls ausgeht und der Kunst rezipiert, als ein Haus, das sich generationsübergreifend dem körperlichen Ausdruck verpflichtet hat?
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