Gereifter Blick
Kunstkritiker Klaus Honnef
Qualitätsbewusstsein bedeutet, sich gegen vieles zu entscheiden, Fehlgriffe einzugestehen und sich von Altem zu lösen. Und hat man dann die Essenz destilliert: Ist man auch fähig, sie angemessen zu schätzen? Vor allem Letzteres ist nicht leicht zu bewerkstelligen. Und dennoch gibt es auch in der Kunstwelt Akteure, die sich seit Jahren konsequent darin üben.
Gabriele Honnef-Harling öffnet mir strahlend die Tür zur Altbauwohnung, die sie mit ihrem Mann bewohnt. Als ich ihr erzähle, dass ich das Haus dank der Satellitenaufnahmen von Google schon von Weitem identifizieren konnte, lacht sie – nur aus dem Fenster würden die beiden auf der Aufnahme nicht winken. Professor Klaus Honnef kommt hinzu, schlicht und elegant in Schwarz gekleidet.
Honnef, geboren 1939, ist ein Altmeister der Kunstkritik, der außerdem erste Einzelausstellungen außerhalb der Galerieszene heute sehr bekannter Künstler wie, um nur einige zu nennen, Gerhard Richter (1969), Sigmar Polke (1973), Annette Messager (1976), Anselm Kiefer (1977), Candida Höfer (1985), Rosemarie Trockel (1985) oder Heribert Ottersbach (1993) kuratiert hat.
Ich begegne einem sehr authentischen Mann, der seine Meinung nachvollziehbar kundtut, nie respektlos, aber ehrlich. Oft auch in einem überraschend direkten Deutsch. So wie er beispielsweise mit Gerhard Richter spricht: „Weißte, Gerhard, ich find immer deine Bilder vom letzten Jahr fantastisch und die neuesten immer grauenvoll.“
Und genauso offen geht es im Gespräch mit Honnef weiter, als er von seiner Zeit als Kritiker im Avantgardismus der Nachkriegszeit erzählt, während der er sich, wie viele andere Kritiker, als „opinion leader“, als Vermittler zwischen den Künstlern und ihrem Publikum verstanden hat. Die Avantgarde war hauptsächlich „dagegen“: gegen den bürgerlichen Kunstbegriff, gegen Museen, gegen Maßstäbe wie die ideale Form und die Dauerhaftigkeit von Kunst. Honnef, der 1971 das erste Werk zur Concept Art verfasste und dieser Kunstrichtung somit zu ihrer ersten publizierten theoretischen Grundlage verholfen hat, sah die Kunst damals als einen fortschreitenden Prozess: immer komprimierter, abstrakter – avantgardistischer eben. Aber selbstkritisch bemerkt er: „Aus der Scheinwelt der figurativen Malerei entwickelte sich durch permanente Reduktion und Abstraktion sozusagen der Kern dessen, was Kunst wirklich ist, und es reduziert sich natürlich auf einen ganz bestimmten Kunstbegriff, und so sehen wir nüscht mehr.“ An dieser einbahnstraßenähnlichen Zuspitzung angelangt entwickelte sich die Kunst zu unserer zeitgenössischen, in der nun „alles geht“. Klaus Honnef veränderte sich ebenfalls: Heute hält er seine damaligen Maßstäbe für überholt und fordert bei der Beurteilung von Kunst ein Bewusstsein für die Vergangenheit. Denn alles sei irgendwie schon einmal da gewesen, und das müsse der Kritiker kompetent einordnen.
Honnef erwartet von guter Kunst, dass sie ihn überrascht, irritiert, herausfordert. Im Idealfall versteht er sie nicht; wenn doch, verliert er das Interesse. Schlechte Kunst erscheine ihm leicht zu durchschauen, umso schwieriger zu verstehen seien die meisten Kunstkritiken. Er lacht ausgiebig. „Pseudophilosophisches Gequatsche, weswegen ich schon eine Strafe auf Misshandlung der deutschen Sprache aussprechen müsste. Ich strafe es mit Ignoranz.“ Das intellektuelle Verständnis ist jedoch nur eine Seite der Kunst, und zwar diejenige, die laut Honnef viel zu sehr betont, wohingegen die sinnliche Komponente oftmals vergessen werde. Die Komponente, die er trotz seines im Laufe der Jahre ausgebildeten theoretisch-abstrakten Wortschatzes sehr zu genießen weiß: „Dann stehen Sie vor dem Velázquez, den großen Königsbildern, ich weiß jetzt nicht, von Ferdinand dem X-ten oder Isabella der Soundsovielten … Diese Kleidung! Diese einzelnen Stoffe – Pelz, Satin, Seide, Brokat – jedes ist differenziert und Sie möchten drüber fühlen, nur, um zu überprüfen, dass sich Ihr Auge nicht täuscht. Das überträgt sich auf die Hand. Das ist doch phänomenal! Das ist doch phänomenal.“
So gesehen bildet Honnef heute einen Gegenpol zum Kunstmarkt, den er nun hauptsächlich kritisch betrachtet. Die seltene Fähigkeit, den Kern der Dinge zu erkennen und zu benennen, ist ihm dabei geblieben. Nachdem er festgestellt hat, dass „das Uninteressanteste in dieser Kunstöffentlichkeit die Kunstwerke sind. Es sei denn, sie bringen viel Geld oder erzeugen einen Skandal“, schaut er wieder auf die Kunst selbst. Was soll sie leisten? Jedenfalls nicht das, was die Kuratoren („die schlimmste Pest“) ihr laut Honnef aufdrängen: „Bewusstsein erzeugen, die Welt verändern – die arme Kunst!“ Stattdessen fordert er: Die grundsätzliche Frage darüber, was Kunst eigentlich ist, solle wieder neu gestellt werden.
Wer austeilt, muss auch einstecken können. Dass er das kann hat Honnef schon als Kurator auf den documentas 5 (1972) und 6 (1977) bewiesen. Er erzählt, wie er 1974, immerhin zwei Jahre nach der documenta 5, im Rheinischen Landesmuseum Bonn als Leiter der Abteilung „Wechselnde Ausstellungen“ empfangen wurde: mit mitleidigen Blicken. Was ihn nicht davon abgehalten hat, auf der documenta 6 erstmals der Fotografie eine Ausstellung zu widmen, die ihre bis dato gesamte Bandbreite bis hin zur Gegenwart zeigte.
Obwohl Honnef zugibt, dass sich im Laufe der Jahre eine Art Ermüdungseffekt beim Konsum von Kunst einstellt und es scheint, als sei ihm der Teich der in seinen Augen schätzenswerten bildenden Kunst zu klein geworden, versucht er, sich seine Begeisterungsfähigkeit zu erhalten. Er schaut über den Tellerrand – zitiert Bernd Becher („Bilder müssen miteinander klingen“), vergleicht den Kunst- mit dem Modemarkt sowie Kunstkritik mit Bewertungen von kulinarischen Werken. Der zurzeit beste Kunstkritiker sei für ihn Jürgen Dollase – Gastronomiekritiker bei der „FAZ“.
Wie in einer langjährigen, liebevollen Beziehung ist Honnef dieser stetige Kampf um den immer wieder NEU-gierigen, begeisterungsfähigen Blick auf seine geliebte Kunst wert. Diese beschert ihm, wie er geradezu schwärmt, Flexibilität und ein stetig waches Bewusstsein. Welche auch aktuell im Einsatz sind: Seit 2011 bloggt er. Und auch hier: qualitativ dosiert und authentisch.
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