Aufblätterer
Tobias Nink, Foto Michael W. Driesch
Den Kern einer Persönlichkeit findet man für gewöhnlich in ihrem Inneren. Möchte man diese sezieren und komprimiert nach außen kehren, kann die dritte Dimension durchaus hilfreich sein. Der Bildhauer Tobias Nink, Student an der Düsseldorfer Kunstakademie, nennt das Verfahren trocken „nach außen quetschen, was innen drin ist“ oder „aufblättern“. Nach eher formalen Keramikobjekten, die noch daran erinnern, dass er bei Tony Cragg studiert hat, überraschte er seinen Professor Ende letzten Jahres mit ganz anderen Arbeiten, die mich dazu veranlasst haben, mich näher mit seinen Werken zu beschäftigen.
Auf den jungen Künstler bin ich während des Besuchs einer Skulpturenausstellung der Galerie Anette Müller aufmerksam geworden. Die Galerie, die im März dieses Jahres eröffnet wurde, hat sich auf junge Nachwuchskünstler der Bereiche Malerei und Bildhauerei spezialisiert. Eine Arbeit dieser Ausstellung hatte es mir besonders angetan: Sie bestand hauptsächlich aus einem Schrank von Tobias Ninks verstorbener Großmutter, den er in der Wohnung stehen gehabt, der ihm jedoch als bloßes Möbelstück in Gebrauch nicht gefallen hatte. Eines Tages beschloss Nink, den sentimentalen Wert des Schrankes künstlerisch sichtbar zu machen: Er erklärte den Schrank zum Material und begann damit, ihn zu sezieren und neu zusammenzubauen. Betrachte ich das Kunstwerk, kann ich zwar noch erkennen, dass es sich einmal um einen alten Schrank gehandelt hat – einen ähnlichen hatte meine Großmutter ebenfalls besessen. Aber die einzelnen Elemente befinden sich nicht mehr an ihrem Platz und überhaupt ist es kein Schrank mehr, denn er hat weder die entsprechende Form noch kann man ihn an irgendeiner Stelle öffnen. Im Gegenteil, ein beigefarbener Kleber sorgt dafür, dass auch die letzte Fuge verschlossen bleibt. Kein Durchdringen, keine Flexibilität, alles ist fest zusammengefügt und wird auch so bleiben – genauso unnachgiebig, wie meine Großmutter gewesen ist, wenn es, zu unserem Besten natürlich, um Zucht und Ordnung ging. Der Titel der Arbeit lautet: So ist das nun mal.
In seinem Atelier in der Kunstakademie zeigt Nink mir ähnliche Arbeiten. Einige der Werke sind fertig, für andere ist die Zeit noch nicht gekommen. Nink erzählt, dass er hauptsächlich über Kleinanzeigen nach Material suche. Es sei jedes Mal ein Risiko dabei, denn er wisse nicht, ob es letztendlich als Werk funktioniere. Aber wenn, dann sei es ein spannender Prozess, ein Kennenlernen des Möbelstücks, das einiges über seinen früheren Benutzer verrate und dessen Persönlichkeit ein Stück weit offenbare. „Man muss viel wegnehmen, damit die Arbeiten viel bekommen. Aber eben nicht zu viel“, hat Nink gelernt. Manchmal bleibt nur ein Achtel übrig, dafür wirkt das Kunstwerk dann wie ein komprimiertes Porträt des ehemaligen Besitzers. Unvermittelt frage ich mich, was meine Möbel wohl in einem ähnlichen Zustand über mich erzählen würden.
Die Gebrauchsspuren seien wichtig, erklärt der Künstler, denn sonst könne man einfach einen Schreiner beauftragen. In einem Möbelstück hat Nink Schnipsel von Zeitschriften gefunden und somit erfahren, dass es eine Besitzerin gewesen sein muss, die streng katholisch gelebt und häufig Kreuzworträtsel gelöst hatte. Ein anderes gab sich barock, Ninks Dekomposition entlarvte es jedoch als industriell gefertigte Massenware aus den 1950er-Jahren. Auf dem Nächsten sind Kratzspuren zu sehen: Die Besitzerin hatte dort Leckereien für ihre Katze aufbewahrt. Nink gibt den fertigen Werken Namen wie Das gute Stück, Du kleines, hübsches Ding oder Fritzchen. Letzteres ist aus einer Kommode entstanden, die ihn stark an die Schule erinnert. Der Bildhauer spezialisiert sich aber nicht nur auf Möbelstücke, in denen man etwas lagern kann. In Zu Tisch beispielsweise hat er einen anderen Einrichtungsgegenstand verarbeitet. Dieser ragt nun, statt in die Breite, zu einem langen Quader verarbeitet 2,45 Meter in die Höhe. Das Ausziehelement thront auf dem Ganzen. Nink stellt sich vor, dass ein kleiner Junge über einen normalen Tisch hinweg eine ähnliche Sichtweise haben muss.
Tobias Nink: “Du kleines, hübsches Ding”,
2014, Holz, 112 x 24 x 18 cm, © Tobias Nink
Tobias Nink scheint mir ein recht ungeduldiger Bildhauer zu sein. Dabei ist gerade die Bildhauerei ein Bereich, in dem man häufig Dinge tun muss, die nichts mit der eigentlichen künstlerischen Arbeit zu tun haben: Holz hin und her schleppen, kleben und warten, Ton ansetzen und die Farbe selbst hineinmischen – wenn einem industriell Hergestelltes zu langweilig ist. Das sei manchmal bitter, bemerkt er. Zum Beispiel auch, wenn er den perfekten Kleber gefunden hat und der Hersteller plötzlich beschließt, die Rezeptur zu verändern – was wiederum Einfluss auf die Wirkung und die Farbe des Produktes hat. Deshalb kommt es zu Situationen, in denen Nink bei Herstellern anruft und sich nach der genauen Farbe des Klebers erkundigt, sich mit der schlichten, verwunderten Antwort „Beige“ nicht zufriedengeben kann und nachhaken muss: „Gelb-Beige oder Beige-Grau?“ Mich fragt er während unseres Gesprächs wiederholt, wieso man eigentlich arbeiten müsse – und meint dabei seine Nebenjobs, nicht seine Bildhauerei, die er offensichtlich nicht als Arbeit empfindet.
Die Ungeduld des jungen Künstlers bewirkt jedoch auch, dass er sehr ergebnisorientiert arbeitet, weshalb er beispielsweise versucht, unabhängig von den Öffnungszeiten der Werkstätten im Atelier zu schaffen. Er steckt noch im Findungsprozess, allerdings sichtbar in den letzten Zügen. Mit jedem der zahlreichen gelungenen Werke wächst seine Kompetenz, das Potenzial eines Möbelstücks einzuschätzen und künstlerisch zu bearbeiten. Gutes Timing, denn nächstes Frühjahr macht er seinen Abschluss bei Richard Deacon. Danach muss er sich ein eigenes Atelier suchen, um weiter sezieren zu können.
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