Halkyonisch
Michael Kunze: “Schwarzorange/Asymptote”, 2011, Öl auf Leinwand, 290 x 230 cm, Privatsammlung, Foto Jochen Littkemann
Wenn der Name einer Ausstellung allzu kryptisch daherkommt, hat das oft zur Folge, dass selbst willige Besucher nicht mehr den Impuls verspüren, sich absichtsvoll dem Ausstellungsgebäude zu nähern. Bei Michael Kunzes Halkyonische Tage, so darf ich hinzufügen, handelt es sich darüber hinaus um etwas abschreckende Malerei. Trotzdem möchte ich eine Lanze für diese Ausstellung in der Kunsthalle brechen: Ja, this is deep shit, aber es lohnt sich, gedanklich einzusteigen, notfalls mithilfe des – oha – deutsch-englischen Faltblattes.
Man könnte sich im Vorfeld die Komplexität unserer Welt metaphorisch vor Augen führen. Wie bei einem dichten Gewebe ziehen sich Fäden und Verbindungen durch ihre Komponenten, selbst die abwegigste Konstellation ist über eine oder zwei Ecken möglich. Deshalb können wir uns auch zum Einstieg mit Friedrich Nietzsches Kopfleiden (auch: Migräne) befassen. Sicherlich traten diese nicht im Neunmonatsrhythmus auf, aber sie erinnern an Wehen, die letztendlich seine komplexen Gedankengänge „für Alle und Keinen“ hervorbrachten. Wenn der Körper nach all der Verleugnung seines Besitzers zugunsten geistiger Ergüsse endlich wieder die Aufmerksamkeit bekommen hatte, die er brauchte, folgten die, so nannte Nietzsche sie, halkyonischen Tage – jene Zeit, in der Körper und Geist in Einklang waren. Kaltes, mediterranes Dezemberklima begünstigte meist seine gesundheitliche Besserung und bescherte ihm eine tiefe Leichtigkeit, die wie eine Katharsis anmutete, wenn die Krämpfe und Schmerzen endlich nachließen und die Gedankengänge auf Papier gebannt waren. Halkyonische Tage kündigen also eine Zeitenwende an – die Frage ist nur: Wird jetzt alles besser oder ist das nur die Ruhe vor dem Sturm?
Michael Kunze (*1961) versteht Nietzsche (1844-1900) als eine Schlüsselfigur der Moderne, weil er nach Süden schaute, das antike Griechenland wieder auf den Plan rief und den Tod Gottes erklärte. An die Stelle dieser moralischen Instanz traten die Industrie und der entsprechende Fortschrittsglaube, dessen Maß aller Dinge die Steigerung ist: Wir wollen höher, schneller, weiter, effektiver und glauben, am Ende erhielten wir eine Belohnung. Aber wo ist „Ende“ und was erwartet uns dort? Das perfekte Leben oder das Burn-out unseres überzivilisierten Lebens? Dies lässt sich ebenso auf die Kunst übertragen. Die Moderne begann laut Kunstgeschichte mit Cézanne, es folgten die Impressionisten und die Avantgarden. Die Entwicklung scheint linear, perfekt, geradezu clean. Kunze zeigt uns jedoch einen verkorksten, schlängelnden, einem Labyrinth gleichenden Fortgang der Dinge. Was zunächst nach Namedropping westlicher Alternativkultur anmutet, entpuppt sich als theoretischer, malerisch umgesetzter Entwurf einer mystisch heidnischen Moderne.
In der gehobenen Umgangssprache wird die „halkyonische“ als eine schöne, gelassene Zeit bezeichnet. Und nachdem er mir seine Vorgehensweise geschildert hat, stelle ich mir genau so Kunzes Recherchearbeit vor, die seinen Werken vorangeht und übrigens auch in Texten mündet. Er suche nicht gezielt nach Zusammenhängen, sondern fände sie. Ein Gedanke leite nun die alltägliche Aufmerksamkeit und er (Kunze) werde an unterschiedlichen, oft unvermuteten Orten fündig. Sein Schaffen der Jahre 2007 bis 2012 – Ausnahmen sind der überdimensionale Morgen (1998-2002) und Les Messieurs d’Avignon (2005-2006) – sind das Ergebnis.
Gregor Jansen, Leiter der Kunsthalle, vermisst in der Malerei der letzten Jahrzehnte Bildung, Wertekanon und Sprachverständnis und möchte der Funktion seines Hauses als Bildungsinstitution mit Michael Kunze gerecht werden. Nun, vielleicht ist es etwas zu viel des Guten gewesen. Aber wer sich einen intellektuellen Tauchgang in Literatur, Philosophie, Kunst und Architektur geben will, ist hier genau richtig. Über das gemalte Ergebnis lässt sich letztendlich sehr gut streiten, aber dafür ist hier nach all der Theorie leider kein Platz mehr.
Kunsthalle Düsseldorf – Michael Kunze: Halkyonische Tage, bis 30.06.13
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4 Kommentare
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Tu es très courageuse… Ça me rappelle mon 1er article sur l’art numérique !!
c’était quand, ça?! je ne savais même pas…
Il y a (oh mein Gott) 12 ans, quand j’écrivais des articles pour Ouest-France… Mon ancien prof de physique avait fait, à l’espace Senghor de Verson-city, une expo sur l’art numérique à laquelle personne ne comprenait rien.
heureusement q t’étais là :) (t’es sûre que tu l’as compris?)